Ein großer Teil der Interaktionen zwischen Arzneistoffen findet bei der Verstoffwechslung statt. Um diese Wechselwirkungz u verstehen, muss man zwei Prinzipien kennen:

  1. Wie in 2.1.4.1 (Verstoffwechslung) beschrieben, werden Arzneimittel vorwiegend durch Enzyme in der Leber abgebaut. Am wichtigsten sind die Enzyme der Cytochrom-P-450-Familie (abgekürzt CYP ←), die aus zahlreichen Varianten (sog. Isoenzymen) besteht. Am Arzneistoffwechsel sind im Wesentlichen acht CYP-Formen beteiligt, deren Namen man auf Beipackzetteln und Fachinformationen immer wieder begegnet: CYP1A2, CYP2B6, CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6, CYP2E1 und CYP3A4,5,7. Die größte Bedeutung hat die Gruppe CYP3A4,5,7.
    Arzneistoffe und Nahrungsinhaltsstoffe lassen sich in Gruppen einteilen, je nachdem, von welchem CYP-Enzym sie überwiegend abgebaut werden. Wechselwirkungen können immer dann auftreten, wenn Stoffe derselben CYP-Gruppe angehören.
  2. Für Stoffe derselben CYP-Gruppe gibt es zwei Möglichkeiten der Wechselwirkung:
    • Die Stoffe konkurrieren um das gleiche CYP-Enzym. Dazu ein Beispiel aus dem Alltag: Wenn im Supermarkt plötzlich doppelt so viele Kunden einkaufen, aber die Zahl der Kassen gleichbleibt, dauert das Bezahlen doppelt so lange. Auf Medikamente übertragen heißt das: Sie werden bei gemeinsamer Anwendung deutlich langsamer abgebaut, d. h. ihre Wirkung wird verstärkt. Der Fachbegriff hierfür heißt Enzyminhibition (Inhibition = Hemmung; der Stoff, der die Hemmung bewirkt, wird als Inhibitor bezeichnet). Die gegenseitige Wirkungsverstärkung setzt sofort ein und endet unmittelbar nach dem Absetzen eines der beiden Medikamente.
    • Einer oder mehrere Stoffe regen die Bildung des betreffenden CYP-Enzyms an, d. h. das Enzym wird in der Leber vermehrt gebildet. Der Fachbegriff hierfür heißt Enzyminduktion (Induktion = Einleitung, Anregung). Im Sinne des Supermarktbeispiels bedeutet das, dass zwar mehr Kunden einkaufen, aber ein Kunde um die Öffnung weiterer Kassen bittet. Statt zwei sind plötzlich sechs Kassen besetzt, sodass das Bezahlen schneller geht, obwohl mehr Kunden einkaufen. Auf Medikamente übertragen: Wird Arzneimittel A, das die Bildung eines bestimmten CYP-Enzyms anregt, zusammen mit dem Wirkstoff B angewendet, der vom gleichen CYP-Enzym verstoffwechselt wird, beschleunigt sich der Abbau von Wirkstoff B im Verlauf von Tagen, sodass die Wirkung abgeschwächt wird. Nach Absetzen des Wirkstoffs, der die Enzyminduktion hervorgerufen hat, bildet sich die gesteigerte CYP-Aktivität im Verlauf von Tagen zurück und die Wirkung von Medikament B nimmt langsam wieder zu.

Beispiele für Wechselwirkungen auf CYP-Ebene

Beispiel 1: Ein Transplantatempfänger erhält das Immunsuppressivum Ciclosporin (→ 21.1), um die Abstoßung des fremden Organs zu unterdrücken. Ciclosporin wird hauptsächlich von CYP3A4,5,7 abgebaut. Das Antibiotikum Clarithromycin (→ 22.5) und ein Inhaltsstoff von Grapefruit werden ebenfalls von diesem CYP-Enzym verstoffwechselt. Beide hemmen dieses Enzym stark. Bekommt der Patient wegen eines Infekts Clarithromycin oder trinkt er im Urlaub am Frühstücksbuffet täglich größere Mengen Grapefruitsaft, wird der Abbau von Ciclosporin gehemmt, sodass die Konzentration des Wirkstoffs im Körper steigt. Schon ein leichter Anstieg kann die Nieren dauerhaft schädigen.

Beispiel 2: Das Antibiotikum Ciprofloxacin (→ 22.7) ist ein starker Hemmer von CYP1A2. Dieser Gruppe gehören auch der Betablocker Propranolol (→ 11.1.2.2) und das Asthmamedikament Theophyllin (→ 12.2.2.2) an. Ist ein Patient auf eines dieser Medikamente stabil eingestellt und bekommt wegen einer Infektion vorübergehend zusätzlich Ciprofloxacin, können die Wirkungen (und Nebenwirkungen) von Propranolol und Theophyllin erheblich zunehmen.

Beispiel 3: Johanniskraut regt die Bildung von CYP3A4,5,7 stark an. Dieses CYP-Enzym baut (siehe Beispiel 1) u. a. Ciclosporin ab. Beginnt ein Transplantatpatient unter Ciclosporin auf eigene Faust die Einnahme von Johanniskraut, wird Ciclosporin nach einigen Tagen beschleunigt abgebaut. Es besteht daher die Gefahr einer akuten Abstoßungskrise, die tödlich enden kann.